Die Wurzel (Zur Übersicht)



www.wurzel.org



Zeitschrift   Werkstatt   Service   Verein   Hilfe  

Zeitschrift für Mathematik

Übersicht Inhalt Kontakt 


Ein Stoff mit hoher Halbwertszeit (Teil II)

Große Sprünge in die bundesdeutsche Unterrichtskultur sind dem Mathe-Wettbewerb „Känguru” gelungen. Dr. Monika Noack, Berlin, frühere Chefredakteurin der Zeitschrift „alpha” hat ihn hier salonfähig gemacht. Seinerzeit noch in der alpha - Rubrik „Die Olympiade-Ecke” unter dem Label „Folklore” vorgestellt, ist das australische Baby wie eine Stampede über Westeuropa gekommen. Känguru Deutschland firmiert mittlerweile als kleiner Trust an der altehrwürdigen Humboldt-Universität. Die 100.000er-Marke hat der Wettbewerb bereits übersprungen.

Springfertigkeit forderte auch die Teilnahme an der Sachsen-Tagung von den Besuchern ab. Das erweiterte Angebot erzwang erstmals, die Vorträge in Sektionen zu gliedern. Das ist einerseits ein gutes Zeichen dafür, dass zur Förderung mathematischer Begabungen ein großes und buntes Spektrum von Maßnahmen vorhanden ist. Das reichhaltige Angebot macht andererseits aber eine Auswahl für den Besucher nicht ganz leicht. Erstmals hat die Tagung auch Jugendlichen eine Plattform gegeben, eigene Aktivitäten zu präsentieren. Schüler und Studenten haben viele gute Ideen und als Adressaten der Tagung sollen sie künftig vermehrt Gelegenheit erhalten, diese auch einem größeren Publikum vorzustellen.

Thomas Fischer, Chefredakteur der mathematischen Jugendzeitschrift Wurzel und Redaktionsmitglied Konrad Schöbel haben von den Unternehmungen des Jenaer Vereins Wurzel e.V. berichtet. An der Friedrich-Schiller-Universität tut sich Einiges auf diesem Gebiet. Da tummeln sich viele innovative Studenten und machen den Hochschulort zu einer Hochburg der Förderung von Mathematik an Schulen und Hochschulen. Sie erreichen dies in der Hauptsache durch zwei Projekte. Das eine ist die Schülerakademie, die zweimal im Jahr stattfindet. Das andere ist die Zeitschrift Wurzel.

In der Schülerakademie halten Studenten der mathematischen Fakultät Vorträge für interessierte Schüler aus Jena und Umgebung. Die Wurzel unterstützt dies durch weitere Fachartikel, die in ihrem Niveau wieder an die Schule angepasst worden sind. Das war eine Zeit lang nicht so; doch dies tut inzwischen der Zeitschrift gut. Der Vortrag von Thomas Fischer war denn auch ein feuriges Plädoyer für das Mathe-Blatt. Bestärkt wurden beide Redakteure durch Zuhörer, die es als „ein Armutszeugnis für die Bundesrepublik” empfanden, dass sich ein 80-Millionen-Volk keine derartige Publikation leisten wolle. Der Verein Begabtenförderung Mathematik hat die Absicht, sich künftig verstärkt um diese Zeitschrift zu kümmern. „Fördern von Jugendlichen bedeutet in anderen Ländern zu einem Großteil, die Arbeit mit einem mathematischen Schülermagazin einzuüben”, unterstrich in seinem Kurzreferat der zweite Vorsitzende des Vereins, Paul Jainta, die unverzichtbare Rolle derartiger Publikationen. Die Rubrik Werkstatt Mathematik in der Zeitschrift Wurzel, die Jainta schreibt, soll in diesem Sinne etwa Schülern Anregungen geben im Umgang mit Problemen (Lösungs-Techniken, Verfahren, einfache Tricks etc.). Mit einer Zeitschrift lässt sich Mathematik wohl am ehesten popularisieren, vorausgesetzt, die Auflagenzahl stimmt. Bei der Wurzel gehen die Abonnentenziffern gerade nach oben.

Eine außergewöhnliche Delegation war aus Bayern angereist. Die Reisegruppe setzte sich aus drei Vorstandsmitgliedern des (noch) jungen Vereins qed (Initialen von quod erat demonstrandum) zusammen. Der Zusammenschluss ist ein „Abfallprodukt” des Landeswettbewerbs Mathematik Bayern. Emil Wiedemann (Vereinspräsident), Hanna Dyck und Ulrich Seubert, haben mit Anderen die Gründung des Vereins ausgeheckt. Die Drei und 27 weitere ehemalige Preisträger des Wettbewerbs waren Teilnehmer am ersten Ferienseminar, das im nordbayerischen Pegnitz stattgefunden hatte. Dort haben sie viel Spaß an der Mathematik gefunden, den sie konservieren wollten. Darum haben sie beschlossen, sich auch weiterhin in ihrer Freizeit mit mathematischen Fragen zu beschäftigen. Nun veranstalten die jungen Leute von qed regelmäßige Treffen an einer Universität oder Fachhochschule und organisieren Vorträge. Auf diese Weise kann ein Wettbewerb eben sehr befruchtend wirken.

Sektionen haben, wie gesagt den Nachteil, dass sie eine Themenwahl zur Qual machen können. Manches findet parallel statt. Sektionen können aber auch Theorie und Praxis trennen. Wer sich lieber an abstrakten Ideen weiden wollte, konnte z.B. bei Prof. Dr. Hans-Joachim Arnold, Emeritus der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg, bei mathematischen Modellierungsaufgaben auf seine Kosten kommen. Wer es noch Spezieller mochte, war bei Dr. Johannes Waldmann gut aufgehoben. Der Informatikfachmann von der Jenaer Universität fragte nämlich: „Können Zeichenketten, in denen bestimmte Wiederholungen von Teilen verboten sind, beliebig lang sein?” Sie können. Dies und Anderes aus der Computer-Mathematik wird in der Leipziger Schülergesellschaft Mathematik Interessierten regelmäßig geboten.

Der geneigte Praktiker war gut beraten, sich den gemeinschaftlichen Vortrag der beiden Hallenser Privatdozentinnen Dr. Elvira Malitte und Dr. Karin Richter anzuhören. „Die Mathematik als Wissenschaft des Unendlichen?” passt auch in die Schule und ist eine spannende, unerschöpfliche Ressource. Der Unendlichkeitsgedanke steckt (fast) überall: in Zahlenbereichserweiterungen („Wie viele Primzahlen gibt es eigentlich?”), sie tauchen beim Umgang mit unendlich fernen Punkten auf („Schneiden sich zwei parallele Geraden wirklich nirgendwo?”), sie kommen in der Auseinandersetzung mit Grenzwert, Stetigkeit, Differenzierbarkeit zu Tage. Am Ende wartet gar das Abenteuer, sich auf die Ideen Georg Cantor”s einzulassen, die Weg weisend für das aktuelle Forschungskonstrukt „Fraktale” stehen.

Ähnlich viel Spannung für außerunterrichtliche Beschäftigung liess und lässt sich aus dem Themenkreis „Geometrische Extremalprobleme” saugen. Ohne besondere Vorkenntnisse können Schüler laut Prof. Dr. Hans-Bert Rademacher, Uni Leipzig, „rasch erkennen, dass sich viele mathematische Anwendungsfragen unschwer als Extremalprobleme mit geometrischem Hintergrund entpuppen”. Neugierde wecken seiner Erfahrung nach besonders Themen der Art
  • Ein- und umbeschriebene Vielecke eines Kreises mit extremalem Flächeninhalt
  • Reflexionsgesetz und Billardbahnen
  • Das kürzeste Wegenetz zwischen mehreren Städten (Steiner-Problem)
  • Minimalflächen (Seifenhaut-Probleme)
Einer der Höhepunkte der sechs Hauptvorträge war zweifelsohne das Plädoyer von Prof. Dr. Reiner Janßen für eine „Mathematik als Allgemeinbildung für die Praxis”. Unterhaltsam und im netten, aber bestimmten Plauderton, begründete der Leiter der EDV-Abteilung der Münchner Rück, warum es „in unserer Gesellschaft wieder schick sein muss, etwas von Mathematik zu verstehen”. Die Liste seiner Gründe ist lang:
  • Viele Wirtschaftsleute haben kaum Vorstellungen von gewissen Größenordnungen;
  • Fast alle Diskutanten in der Tagespolitik oder in Talkshows kommen in ihren Argumentationslinien ohne die elementarsten Grundbegriffe der Logik aus;
  • Selbst Fachminister verstehen Steuer- oder Rentenformeln nicht, verkünden oftmals die falschen Prognosen;
  • Die meisten Menschen haben erschreckende Defizite in der richtigen Bewertung statistischer Ergebnisse;
  • Diagramme werden von Graphikern bewusst oder unbewusst falsch dargestellt oder interpretiert etc.
Viele Alltagsprozesse, so Prof. Janßen, müssten analysiert, verarbeitet und gedeutet werden. Dafür ist nicht Informatik sondern Mathematik notwendig. Nur mit den Grundregeln der Mathematik seien klare Schlussfolgerungen möglich. „Im Gegensatz zur Wissensinflation auf anderen Gebieten hat diese Wissenschaft eine hohe Halbwertszeit”, so das eindeutige Fazit. Wissen wird künftig der entscheidende Produktionsfaktor sein. Darauf muss vorbereitet werden. Zuerst in den Schulen. Nur ein guter Mathematikunterricht kann später die Verarbeitung und damit Bewertung neuen Wissens durch regelmäßiges „Gehirnjogging” garantieren.


> Die Wurzel > Zeitschrift

Anfang

Übersicht  Zeitschrift  Werkstatt  Service  Verein  Hilfe
eMail  Kontakt zur Wurzel   Feedback zur Website Datenschutz


© 1996-2020 Wurzel e.V. Alle Rechte vorbehalten.