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Ein Stoff mit hoher Halbwertszeit (Teil III)


Wie kann jedoch ein Bewusstsein in der Gesellschaft für die Notwendigkeit einer intensiven mathematischen Bildung der jeweils „nachwachsenden” Generation geschaffen werden? Darüber zerbrach sich am ersten Abend eine illustre Podiumsrunde den Kopf. Unter der Gesprächsleitung von Prof. Dr. Gernot Stroth, Vorsitzender der DMV, wurde im kleinen Hörsaal des Instituts über die Frage diskutiert: „Brauchen wir einen Dachverband zur Koordinierung der Begabtenförderung (in Mathematik)?” Die Meinungen liefen erwartungsgemäß auseinander, da Interessenkonflikte vorprogrammiert waren. Prof. Dr. Horst Behncke, Vorstandsmitglied des Stifterverbands der deutschen Wissenschaft, befürchtet eine zu starke Einengung, wenn sich ein Dachverband ausschließlich für die Mathematik engagiere. „Besser wäre da ein Verband der sich aller Begabungen annimmt”. Doch gebe es schon zu viele Interessengruppen, die Gefahr einer Zersplitterung drohe. „Warum also noch einen weiteren gründen?” Wäre es da nicht vorteilhafter, bestehende Gruppierungen zu vereinigen? Prof. Stroth sähe dies jedenfalls lieber. Die DMV würde sich an einem Dachverband beteiligen. Besser noch, die Mathematiker-Vereinigung übernähme gleich die Federführung.

„Deutschland ist zwar ein Verbändestaat”, erklärte Paul Jainta für den Verein Begabtenförderung Mathematik, „gegen deren Zustimmung Nichts durchgesetzt werden kann.” Doch habe „Bildung hier zu Lande seltsamer Weise noch keine Lobby”. Es fehle an einer schlagkräftigen Dachorganisation, die Mathematik und mathematische Bildung in der Öffentlichkeit positiv besetze. Nur ein Dachverband könne verbindlich mit einer Stimme reden, Zielsetzungen vorgeben und bei bildungspolitischen Entscheidungen beratend wirken. „Wenn es um Bildungsfragen geht, reden zu viele mit, die mit dem Innenleben von Schule und Hochschule nicht vertraut sind”, so Jainta.

Dr. Thomas Rubach, Vertreter der Siemens AG, Nürnberg, sei im Grundsatz ebenfalls für eine Bündelung der Kräfte. Es gebe ja bereits zahllose Vereine und Gruppierungen in Sachen Begabtenförderung. „Würde man aber alle Vereinigungen dieser Art in eine ‚Förder-Landkarte’ eintragen, würde man wegen der vielen weißen Flecken erschrecken”. Der Wirtschaftsmann kenne einen guten Weg aus der Misere: „Machen Sie Werbung für das Produkt Mathematik!”

„Doch wie schafft man das?” wollte Prof. Stroth wissen. „Mit Engagement”, riet Dr. Wolfgang Moldenhauer. Er kennt sich aus, denn er ist der Chef des thüringischen Instituts für Lehrerfortbildung in Erfurt. Diese Tagung in Leipzig und die Konferenz ‚Mathe ist Top’, die im September 2000 in Duisburg für Furore sorgte, zeigen doch deutlich, wie’s gehe. Lehrer sollten ihre Begeisterung für das Fach weitergeben. Ein Dachverband könne dabei Rücken stärkend sein. Der Deutsche Philologen-Verband mache es ja gekonnt vor. Das ist eine kleine Organisation mit ca. 100 Mitgliedern. Doch diese Institution werde gehört. Sie hat Einfluss. Nur so könne in der Politik Akzeptanz für die Mathematik hergestellt werden. Und das würde auch ungemein motivierend auf Lehrer wirken.

Das sah Dr. Rubach auch so. Im November 2000 hatte Siemens verschiedene Lehrer, Professoren und Wirtschaftsmathematiker zu einer gemeinsamen Tagung nach Erlangen geladen. Das Echo war groß und durchweg zustimmend. Ein Dachverband könnte solche Meetings öfter und in der Fläche organisieren. „Das ist gut für das gegenseitige Verständnis und würde sicher neue Triebkräfte entwickeln”, so der Siemens-Mann.

Ein Zuhörer meinte: „Ein Dachverband sollte die Mathematik und nicht Einzelinteressen vertreten”. Unter dem Motto ‚Mathematik für viele’ böte eine derartige Organisationsform eine Lobby für Inhalte und Anwendbarkeit der Wissenschaft. „Aber haben wir nicht schon eine Art Dach für mathematische Bildung, den Verein MINT, der in Bonn seinen Sitz hat und mathematische und informatorische Innovationen an deutschen Schulen fördern will?” wirft Prof. Stroth ein. Frau OStD’in Dr. Heink, Oswald-Gymnasium Leipzig, sah dies anders. Ihre Schule werde zwar von MINT unterstützt. Sie merke aber auch, dass diese Innovationsleistungen auf den Schultern der Lehrer lasten. Und dies alles neben dem Unterricht, das sind 27 Wochenstunden in Sachsen. „Die Kollegen haben kaum noch Luft”. Daher müsse die Industrie endlich Signale setzen, sagt Dr. Rubach. Mit einem regionalen Sponsoring allein sei es aber nicht getan.

Die Runde kam am Ende doch zu einem Konsens. Einigkeit herrschte darüber, dass die Wirtschaft als „potentieller Kunde an einer Stärkung mathematischer Bildung in der Schule interessiert sein muss” und sie müsse auch in die finanzielle Pflicht genommen werden. Daher sollte sie gegenüber der Politik fordernder auftreten. „Nur dann geschieht etwas, das hat sich auf anderen Feldern gezeigt, etwa bei dem Thema ‚Green Card’”, fasste Podiumsleiter Dr. Stroth zusammen. Natürlich braucht die Mathematik eine bessere Presse. Aber auch die Eltern sind gefordert. Erst ein kleiner Teil der Gesellschaft habe inzwischen erkannt, dass ein Mangel an mathematischer Ausbildung als schmerzlicher Verlust zu begreifen sei.

Die Vereinsspitze hat verstanden. Sie will die Vorlage des Podiumsgesprächs aufnehmen und den Kultusministern der Länder ihre Thesen zur Stärkung des Mathematikunterrichts an weiterführenden Schulen als Diskussionsgrundlage zur Verfügung stellen. Parallel hierzu sollen mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen z.B. mit Elternverbänden, intensive Gespräche über die Notwendigkeit einer Dachorganisation geführt werden.

Nach dem trockenen Diskurs auf dem Podium durfte der Spaßfaktor, den die Mathematik zweifelsohne vermitteln kann, auf der Tagung nicht fehlen. Frau Christine Streib und Günter Wolf, beide Mathematiklehrer am Karlstädter Johann-Schöner-Gymnasium, sorgten mit der Vorstellung ihres Roboterkurses für die 7. Jahrgangsstufe für einige Lockerungsübungen im Plenum. Die Maschinenmenschen werden aus frei kombinierbaren Teilen der Legobaureihe Mindstorm Robotics Invention System 1.5 zusammengeschraubt und mithilfe einer speziellen Programmiersprache zum Laufen gebracht. Jedes Karlstädter Schülerteam erhielt die Aufgabe, seinem mit einem Kleincomputer bestückten Roboter originelle Tanzfiguren beizubringen. Dem Siegerteam winkte dann eine Teilnahme an der deutschen Meisterschaft im Juli 2001 in Paderborn.

Fast wie ein Krimi entwickelte am späten Freitag Abend Dr. Axel Schüler, Uni Leipzig, die dramatische Entstehungsgeschichte des Beweises des Großen Fermat’schen Satzes. Detektivisch sezierte der Referent die Arbeitsweise eines Mathematikers. Das ganze Prozedere kann manchmal ziemlich Nerven aufreibend sein.

Den amüsanten Schlusspunkt der Tagung setzte ein Beirat des Vereins, Dr. Wolfgang Moldenhauer. In seiner unnachahmlichen Art plauderte er hintergründig über ‚40 Jahre Mathematik-Olympiaden’. Das war gleichzeitig auch ein charmanter Rückblick auf 40 Jahre DDR, aus dem Blickwinkel eines abenteuerlustigen Jugendlichen, dessen Tagespensum angefüllt war mit Mathematik, Ferienlager-Romantik, Geselligkeit. Die damalige fröhliche Atmosphäre ist in dem folgenden Sechszeiler zusammengefasst:
Besonders auch in Mathesachen
Soll der Mensch sich Freude machen.
Knobeln, rechnen, Formeln finden
Und sich auch ein wenig schinden,
Ist die Lösung dann erbracht,
Hat es allen Spaß gemacht …
Spaß gemacht hat es auch den zahlreichen Tagungsteilnehmern. Die Resonanz war jedenfalls überwiegend gut. Ebenfalls kurzweilig hat Prof. Dr. Rudolf Borges, Didaktiker an der Universität Frankfurt/Main, das dreitägige Programm gefunden. Er war als Beobachter nach Leipzig gekommen und hat kaum einen Beitrag versäumt. Der Berichterstatter wird wohl einige angenehme Eindrücke mitgenommen haben. Und das ist gut so. Die nächste Tagung des Vereins soll nämlich im März 2002 in Frankfurt stattfinden.

Paul Jainta


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