Beinahe täglich müssen wir uns mit Alltagsproblemen herumschlagen
und Lösungen finden:
Wie finanziere ich ein neues Auto?
Welche Freundin, welcher Mann paßt zu mir?
Welche Unterrichtsplanung ist am effektivsten?
Wo kauft man günstig ein?
Der richtige
Riecher oder scharfe Kalkulation helfen hierbei in der
Regel. Aber nicht immer. Strenges, analysierendes Denken ist oftmals eine
wirksamere Methode, mit den vielen Unwägbarkeiten des Lebens
zweckmäßig umgehen zu können.
In der Schule werden für gewöhnlich nur Schlußfolgerungen als
Ergebnisse analytischen Denkens mitgeteilt. Es bleibt wenig Raum, zumal im
Mathematikunterricht, die Methodik des scharfsinnigen Problemlösens
einzuüben. Dabei hatte doch schon George Washington erkannt:
“From the high ground of mathematical … demonstrations,
we are led to far nobler and sublime meditations.”
Viele Bücher sind zum Thema ‘Problem-Lösen’ geschrieben
worden - doch leider nicht in deutscher Sprache. Darin finden sich eine Menge
Aufgaben, harte Nüsse, aber auch leichtere Einstiegsaufgaben, nach
Themenbereichen sortiert oder als buntes Sammelsurium.
Doch Problemlösen in der Mathematik ist nicht gleichzusetzen mit der
schnellen Produktion von Lösungen.
Problem Solving, wie es die
englisch-sprachige Welt liebt, ist eine Lebensphilosophie. Wissenschaftler in
aller Welt und jeglicher Couleur - Chemiker, Physiker, Soziologen,
Ökonomen - leben und arbeiten danach: Daten sammeln, eine geeignete
Methode zur Aufbereitung der statistischen Befunde heranziehen,
schließlich eine Lösung für das Problem angeben. Diese
Vorgehensweise wollen wir auch in dieser Rubrik beibehalten.
Zweck der
Werkstatt Mathematik ist, ein (elementares)
Instrumentarium zum Lösen mathematischer Probleme anzulegen. Mit diesem
Werkzeug soll der handwerkliche Umgang mit den unterschiedlichsten
Fragestellungen erleichtert werden. Nach Art von Gebrauchsanleitungen wollen
wir bewährte Lösungsstrategien auf verschiedene Aufgabentypen
anwenden. Dazu verfeinern wir die Techniken mit hilfreichen Sätzen und
nützlichen Formeln. Damit kann sich ein ungeübter Aufgabenlöser
ein persönliches
Waffenarsenal anlegen und zahlreiche Aufgaben
attackieren. Ein derartiges Waffendepot oder besser ein Vorrat an
Problemlösestrategien ist unentbehrlich, speziell natürlich für
Forschungsarbeit im wissenschaftlichen Bereich. Was wichtige Vertreter des
Staates in unserer modernen Gesellschaft unter den Schlagworten
Kreativität und
Innovation immer nachhaltiger fordern,
muß in frühen Jahren entwickelt werden.
Die neue Seite der
Wurzel wendet sich an Anfänger (und
Fortgeschrittene), an Liebhaber der Mathematik (und Professionelle), an
Schüler (und Studenten) jeglicher Provenienz. Ziel ist, so viele Leser
wie möglich davon zu überzeugen, daß mathematische
(Wettbewerbs-)Aufgaben für
sie da sind und sich nicht im
Geheimbesitz einer Minderheit von Sonderlingen befinden.
Mit der Mathematik verhält es sich ja wie mit Musik oder Sport. Es gibt
eine Menge vielversprechender junger Talente, die mehr bringen könnten,
als Lehrplan oder Trainingsplan vorschreiben. Das Entwicklungspotential ist bei
den meisten vorhanden, der letzte Schliff fehlt noch. Doch dies muß nicht
gottgegeben sein: Der Schritt hin zur Spitze kostet viel Training, Anstrengung
und Engagement. Wie kann man nun aber in der Mathematik den richtigen Schliff
bekommen? Die üblichen Aufgaben in den Schulbüchern sind hierfür
nicht besonders hilfreich. Sie taugen zwar für das Einüben simpler
Rechentechniken, aber erst auf der Grundlage solcher Fertigkeiten beginnt
die harte Vorbereitung auf anspruchsvolle Probleme.
Ich habe in der vergangenen Dekade - zusammen mit einem weiteren Kollegen
- einen Mathematikwettbewerb von der Pike auf organisiert, und als
Geschäftsführer des Landeswettbewerbs Mathematik Bayern weiß
ich zudem um die Schwierigkeiten von Schülern, den richtigen Zugang zu
einem vorgelegten Problem (oder mehreren) zu finden. Daher soll diese Rubrik
besonders jenen nützlich werden, die an einem Wettbewerb teilnehmen
wollen. Sieben Jahre Fürther Mathematik Olympiade haben vor allem eines
gezeigt: Die wiederholte Teilnahme an einem Wettbewerb erweitert und bereichert
den Fundus mathematischer Fertigkeiten. Gespräche mit Teilnehmern
(meist mit weniger erfolgreichen) haben auch die Kehrseite der Medaille
deutlich gemacht. Viele Schüler verzetteln sich oder scheitern an
der vergeblichen Suche nach einem
passenden Verfahren algorithmischer
Art.
Die Methode des systematischen Probierens etwa ist kaum kultiviert und wird
als probates Mittel zur Ideenfindung nicht genutzt.
Für junge Musiker und Sportler ist es selbstverständlich, daß
durch intensives Üben und Training Fortschritte gelingen und sie nur so
bei oftmals hochkarätig besetzten Auftritten oder Meetings bestehen
können. Mathematik-Wettbewerbe werden in dieser Hinsicht völlig
unterschätzt. Wir erleben oft, wie Teilnehmer ziemlich unbedarft ins
Rennen gehen. In solchen Fällen der Selbstüberschätzung
schlägt eine Teilnahme manchmal ins genaue Gegenteil um. Statt einen
aufregenden Einblick in neue mathematische Bereiche zu bekommen, wird der
schlecht beratene und unvorbereitete Schüler eine hartnäckige
Abneigung gegen die Mathematik entwickeln.
Sogenannte Hausaufgaben-Wettbewerbe, bei denen die Teilnehmer innerhalb
einer bestimmten Frist mehrere Probleme zuhause lösen dürfen,
können den Nachteil fehlender Vorbereitung teilweise wettmachen.
Aufgaben mit naheliegenden Lösungsansätzen, die man zudem ohne
Zeitdruck bearbeiten kann, bieten begabten Jugendlichen, denen das nötige
Rüstzeug fehlt, dennoch die Möglichkeit, achtbare Resultate zu
erzielen. Ganz nebenbei bleiben durch intensive Beschäftigung mit den
Fragestellungen einige Erkenntnisse haften. Es ist jedoch ein Irrtum zu
glauben, daß dieser Typus von Teilnehmer “aus eigener Kraft”
auch in einem Klausur-Wettbewerb mit oft höheren Anforderungen zu
vergleichbaren Ergebnissen kommen kann. Aus langjähriger Erfahrung
weiß ich, daß es an vielen Schulen daran mangelt, potentielle
Teilnehmer für Mathematik-Wettbewerbe angemessen vorzubereiten. Und nicht
selten scheitern Schüler aus dem Grund, weil sie sich falsch
präpariert haben.
Vielleicht kann die
Werkstatt Mathematik dazu beitragen, Kolleginnen und
Kollegen davon zu überzeugen, daß (Wettbewerbs-)Probleme
zahmer sind als gemeinhin angenommen, selbst wenn sie auf den ersten
Blick ziemlich schwierig erscheinen. Der Umgang mit zähen Problemen
könnte eine lang sprudelnde Quelle des Vergnügens werden. Ich
würde mich freuen, wenn die Rubrik besonders jenen eine gänzlich
neue Welt der Vergnügungen aufsperren sollte, die bisher nur als
Zaungäste dem mathematischen Treiben von außen ungläubig
zugeschaut haben.
Die neue Ecke in der
Wurzel will die verschiedensten
Lösungsstrategien und Denkschemata häppchenweise vorstellen. Jeder
Begriff, jeder nützliche Satz, jede hilfreiche Technik soll an Hand von
vielen Beispielen illustriert werden. An den gezeigten Mustern lassen sich
viele Verfahren am ehesten plausibel machen und antrainieren. Der
Aufgabenkatalog wird in der Regel unorthodox sein, besonders auch geeignet
für den Einsatz in mathematischen Arbeitsgemeinschaften. Nach Georg Polya
ist einer der Schlüssel, eine Aufgabe völlig zu verstehen, kluge
Fragen zu stellen. Es wäre dumm, eine Frage zu beantworten, die man nicht
versteht. Es ist kläglich, für ein Ziel zu arbeiten, das man nicht
erstrebt. Zuallererst muß also der Wortlaut der Aufgabe verstanden sein.
Das bedeutet: Man muß lernen, ein Problem richtig zu lesen. Was ist
unbekannt? Was ist gegeben? Wie lautet die Bedingung?
Ideen und Techniken müssen verinnerlicht werden. Erst dann sind es eigene
Werkzeuge. Die Mathe-Werkstatt möchte dem Leser viele solcher Werkzeuge an
die Hand geben, damit sie zu einem Teil seines
geistigen Bauplans
werden. Ich möchte den Leser also ermuntern, seine gelegentliche
Trägheit im Umgang mit Problemen zu überwinden und
Mathematik zu tun. Manchmal neigt ein unerfahrener Problemlöser
dazu, bei einer widerspenstigen Aufgabe auf die natürlichste Weise zu
reagieren. Er kratzt sich am Kopf und denkt sich: “Lassen wir das, ich
komm' nicht drauf!” Und mit einem “Was gibt es zu essen?” wird
das Problem abgehakt. Man sollte besser erst später zum Essen gehen,
vorher das Problem nach bestimmten Kategorien abklopfen:
Kenne ich nicht eine verwandte Aufgabe, die bereits gelöst ist?
Probieren wir mal dieses aus …
Mmmmh! - Erstmal eine Figur zeichnen …
Kann ich die Aufgabe auch anders formulieren?
Vielleicht läßt sich wenigstens ein Teil des Problems lösen …
Nur wer Probleme löst, betreibt Mathematik und damit Wissenschaft. Zum
Ausprobieren werden in jeder Folge der Werkstatt Mathematik fünf Probleme
gestellt, wobei eine Aufgabe stets das aktuelle Thema variiert. Die
elegantesten Lösungen sollen regelmäßig an dieser Stelle
veröffentlicht werden. Hierzu werden Lösungsvorschläge an
folgende Adresse erbeten:
Paul Jainta
Werkvolkstrasse 10
91126 Schwabach
Oder als e-mail:
paul.jainta@fuemo.de oder
P.Jainta@odn.de
Ich bin auf die ersten Lösungen gespannt. Erfreulich wäre, wenn
zahlreiche Lösungsvorschläge von Schülerinnen und Schülern
eingehen würden.
Neben mathematischen Denkstrukturen, neben Problemen und gewitzten
Lösungen könnte diese Seite zum Forum des Dialogs werden, so
vielfältig und abwechslungsreich wie die Welt der Mathematik nun mal eben
ist. Mögen die ersten fünf Aufgaben aus verschiedenen Bereichen der
Mathematik der Anfang einer langen und erfinderischen Goldsuche sein. Aber
Vorsicht: Eine sorgfältige vorherige Inspektion des Geländes, etwas
Geologie und dosiertes Graben sind für Prospektoren erfolgversprechender,
als im Tagebau das gesamte goldhaltige Gestein mit Bulldozern mühsam
freizuräumen. Dasselbe gilt auch für die Suche nach attraktiven
Lösungen zu Problemen.