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Immo Diener
Polareuklidische Geometrie

Im April 2021 ist im Verlag Springer Spektrum ein Buch über das weitgehend unbekannte mathematische Gebiet der polareuklidischen Geometrie (PEG) erschienen. Worum handelt es sich bei dieser Thematik?

Eine der schönsten Gesetzmäßigkeiten in der Geometrie ist das Dualitätsprinzip. Im Raum sind Hexaeder und Oktaeder zueinander duale Gebilde, die Anzahl der Ecken des einen Körpers ist gleich der Anzahl der Ebenen des anderen Körpers und die Anzahl der Kanten ist jeweils dieselbe. Ebenso stehen sich Ikosaeder und Pentagondodekaeder dual gegenüber.

Ein Satz über Inzidenzen von Punkten und Geraden in der projektiven Ebene behält stets seine Gültigkeit, wenn man in geeigneter Weise die zueinander dualen Grundelemente Punkt und Gerade vertauscht. So entsteht z.B. aus dem Satz von Pascal der Satz von Brianchon und umgekehrt.

Die projektive Geometrie hat sich am Anfang des 19. Jahrhunderts aus dem euklidischen Anschauungsraum mit den Grundelementen Punkt, Gerade und Ebene durch die Einführung der Fernelemente entwickelt. So bemerkte Christian von Staudt in seiner 1847 erschienenen Geometrie der Lage, dass man die gemeinsame Richtung paralleler Geraden als den eigentlichen Punkten gleichwertige uneigentliche Punkte oder im Unendlichen liegende Fernpunkte auffassen kann, ebenso die gemeinsame Stellung paralleler Ebenen als den eigentlichen Geraden gleichwertige uneigentliche Geraden oder im Unendlichen liegende Ferngeraden.

Da irgend zwei Ferngeraden stets miteinander in einem Fernpunkt inzidieren – zu zwei Ebenenstellungen im Raum gibt es stets genau eine gemeinsame Richtung – hat die Gesamtheit aller Fernpunkte und Ferngeraden die Struktur einer Ebene, der sogenannten Fernebene.

Den euklidischen Raum kann man im projektiven Anschauungsraum mithilfe der besonderen Fernebene beschreiben: Zwei Geraden sind parallel, wenn sie in einer Ebene liegen und ihr gemeinsamer Punkt in der Fernebene liegt, und zwei Ebenen sind parallel, wenn ihre gemeinsame Gerade in der Fernebene liegt.

Um auf diesen Sachverhalt das Dualitätsprinzip anwenden zu können, bedarf es außer der besonderen Fernebene noch eines besonderen Nahpunktes, des sogenannten absoluten Mittelpunktes der PEG. Es handelt sich dabei um einen beliebigen aber festen Punkt des projektiven Raumes, der nicht in der Fernebene liegt.

Der duale Satz lautet dann: Zwei Geraden sind dual-parallel, wenn sie durch einen Punkt gehen und ihre gemeinsame Ebene durch den Nahpunkt geht, und zwei Punkte sind dual-parallel, wenn ihre gemeinsame Gerade durch den Nahpunkt geht.

Als Bezeichnung des Begriffs dual-parallel bietet sich das Wort „zentriert” an, wenn man den Nahpunkt als ein Zentrum der PEG auffasst.

Auf dieser Grundlage – dem projektiven Anschauungsraum mit den Fernelementen und den Nahelementen, also dem ausgezeichneten Nahpunkt und den mit ihm inzidierenden Geraden und Ebenen – entwickelt der Verfasser von den euklidischen Begriffen wie z.B. orthogonal, Strecke, Mittelpunkt, Winkel usw. die jeweils dualen Begriffe der PEG.

Der so ergänzte projektive Raum ist der Raum der PEG, in dem das Dualitätsprinzip ohne Einschränkung gilt und – dies ist das Besondere gegenüber der projektiven Geometrie – auch auf alle Figuren und Begriffe der euklidischen Geometrie angewendet werden kann.

Die Dualisierung bekannter Sätze wie z.B. des Satz des Thales oder des Sehnensatzes liefert oft neue und verblüffende Zusammenhänge in der euklidischen Geometrie.

Das Buch setzt bei dem Leser lediglich die übliche Schulbildung und ein gewisses Interesse an Geometrie voraus. Seine Stärke besteht darin, dass der Verfasser den Leser äußerst behutsam und verständlich Schritt für Schritt mit den neuen Begriffsbildungen bekannt macht. Es kann also auch Schülerinnen und Schüler der Oberstufe als ein die mathematische Fantasie sehr anregendes Buch empfohlen werden. Unterrichtende der Mathematik finden dort vielfältige Anregungen für den Unterricht auf dem Gebiet der Geometrie. Anm. d. Red.: Man sollte hier vielleicht etwas einschränken. Für das Verständnis der PEG ist zunächst ein prinzipielles Verständnis der projektiven Geometrie vonnöten. Zudem sind die zu den Objekten und Aussagen der euklidischen Geometrie dualen Objekte und Aussagen teilweise wenig anschaulich und intuitiv. Auch wenn das nötige Vorwissen für das Verständnis des Buches nicht über das Schulwissen hinaus geht, dürfte der Abstraktionsgrad des Buches für viele Schülerinnen und Schüler doch etwas zu hoch sein.

In einem ersten Teil werden in vier Kapiteln einerseits die Grundlagen der projektiven Geometrie, insbesondere die Fernelemente und das Dualitätsprinzip, ausführlich dargestellt und andererseits die Idee der polareuklidischen Geometrie und einige Begriffe und Objekte der PEG entwickelt.

In einem zweiten Teil geht es in drei Kapiteln (Gestalt und Bewegung; Messen in der PEG; Ergänzungen, Aufgaben und Projekte) um den weiteren Aufbau der PEG.

In einem Anhang befinden sich neben einer zusammenfassenden Beschreibung der PEG für Mathematiker, die auch historische Aspekte enthält, ausführliche Anmerkungen zu Textstellen im Buch und ein umfassendes Glossar, in dem alle vorkommenden neuen Begriffe und Wortbildungen erklärt werden. Ferner ist neben einem Verzeichnis der verwendeten Symbole auch eine Liste der dualen Begriffe sehr hilfreich, wie auch der ausführliche Index am Schluss des Buches.

Das Inhaltsverzeichnis findet man im Internet auf der Verlagsseite.


Kurzinfo

Immo Diener
Polareuklidische Geometrie

Springer Spektrum · 2021.
1. Auflage, 330 Seiten. Taschenbuch.
ISBN 978-3-662-63300-7. €37,99.

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