Die erste von zwei jährlichen SAM-Tagungen, von den Teilnehmern liebevoll
„Mathe-Lager” genannt, fand dieses Jahr im südthüringischen
Römhild statt.
Für viele mathematisch interessierte Schüler ist diese Veranstaltung
schon längst zur Tradition geworden, und so nahmen auch dieses Mal wieder
31 Jugendliche von Schulen aus ganz Ostthüringen unter der Obhut von 8
betreuenden Studenten teil.
Das beschauliche kleine Gastgeberörtchen, das bei nur knapp über 2000
Einwohnern den stolzen Titel 'Stadt' trägt, schien anfangs recht ungeeignet,
denn ein so ruhiger Platz am Rande der Zivilisation konnte unmöglich das
bieten, was junge Menschen von einem Ferienlager erwarten: viel Spaß, am
besten laut und hektisch inszeniert. Doch es stellte sich heraus, daß die
ruhigere, streßfreie Atmosphäre den meisten Anwesenden eine wesentlich
größere Erholung brachte, wozu Ferien ja vorrangig genutzt werden sollten.
Damit aber in der Ruhe keiner seinen Kopf vollständig vergaß, war –
wie immer – für genügend Beschäftigung der grauen Zellen gesorgt:
täglich wurden die Schüler, nach Klassenstufen getrennt, vier Schulstunden
lang durch die (größtenteils Mathematik studierenden und somit bestens
informierten) Betreuer in vielfältigen mathematischen Themen unterrichtet.
Die Palette reichte von vollständiger Induktion bis hin zu Raumdrehungen mit
Hilfe von Quaternionen.
Dieser wichtige Bestandteil der Tagung, die schließlich der Förderung
mathematisch Begabter dienen soll, ist erfahrungsgemäß auch der
umstrittenste. Denn viele empfinden es als unzumutbare Belastung, sich
während der Ferien genauso geistig verausgaben zu müssen wie das ganze Jahr
über in der Schule. Ihnen kann natürlich mit Fug und Recht entgegengehalten
werden, daß der Besuch des Lagers auf freiwilliger Basis stattfindet und
daß jeder Teilnehmer ein gewisses Interesse an der dargebotenen
mathematischen Fortbildung mitbringen sollte. Zudem möchte ich jedem ans
Herz legen, dem Unterricht nicht von vornherein mit ablehnender Haltung zu
begegnen, denn in diesem Fall hat das Mathe-Lager wirklich wenig Sinn.
Vielmehr sollte bedacht werden, daß die Mathe-Stunden selbst dann nützlich
sein können, wenn man sich für die (durchaus streitbaren)
hochmathematischen Inhalte kaum interessiert: man lernt, die Gedankengänge
anderer zu verfolgen und sich aus dem Gehörten selbstständig ein Bild im
Kopf zu machen sowie die komplexen Zusammenhänge zu verstehen. In der Schule
wird in diesem Kontext gerne von „Studierfähigkeit” geredet –
eine für das Studium unbedingt notwendige Voraussetzung.
Im Gegensatz zu den vorhergehenden Tagungen standen dieses Mal
sogar echte Unterrichtsräume zur Verfügung, die uns die ortsansässige
Schule freundlicherweise überließ. Ein Manko gab es allerdings: die
Jugendherberge lag ungefähr zwei Kilometer von Römhild, an dessen
„Stadtrand” sich die Schule befand, entfernt. Das bedeutete für
uns, jeden Morgen wirklich sehr früh aufstehen zu müssen.
Zur Beruhigung derer, die sich nach dem bisher Gelesenen komplett
dagegen sträuben, einen Besuch des Mathe-Lagers auch nur in Erwägung zu
ziehen, möchte ich an dieser Stelle bemerken: das eben Geschilderte ist
natürlich nicht das, was die sieben Tage maßgeblich bestimmt hat!
Vielmehr waren dies die Aktionen und Aktivitäten, die außerhalb des
„Pflichtprogramms” standen.
Denn dafür waren die Anlagen des Jugendzentrums geradezu prädestiniert.
Alle denkbaren Variationen von Sport wurden zelebriert; neben Volleyball,
Fußball und Tischtennis, die so großen Zuspruch fanden, daß teilweise
„in Staffeln” gespielt werden mußte (der Spielplatz reichte nicht aus),
gab es auch einige wenige Extremsportler, die sich mehrmals einem
Ausdauer-Jogging durch die schöne ländliche Gegend aussetzten. Leider
konnten die angesetzten traditionellen Volleyball- und
Tischtennis-Turniere nicht zu Ende geführt werden, da die Zeit dafür
einfach nicht zur Verfügung stand. Aber nächsten Sommer wird dies
garantiert nachgeholt. Zur Freude aller stand ab Mitte der Woche sogar
das Wetter hundertprozentig auf unserer Seite, so daß nach den sieben
Tagen einzelne Teilnehmer tatsächlich über Sonnenbrand klagten – im April
an sich sehr ungewöhnlich.
Und wenn man von körperlicher Ertüchtigung genug hatte oder einmal von
Muskelkater und schweren Beinen geplagt wurde, ging es einfach
innerhalb der vier Wände der Herberge ein wenig ruhiger weiter:
Karten- und Brettspiele, die Kunst des Origami-Faltens und
selbstmitgebrachte Musikinstrumente in Verbindung mit zahlreichen
Liederbüchern sorgten für ausreichend Abwechslung und Unterhaltung.
Die Betreuer und Organisatoren trugen nach bestem Wissen und Gewissen ihren
Teil dazu bei, daß Langeweile nie aufkommen konnte: freigiebig wurden
leckere Eisbecher spendiert, und passend zu Ostern gab es sogar
Schokoladenhasen, die allerdings erst in einer nächtlichen Schnitzeljagd
von uns aufgespürt werden mußten.
Diese Zusatzmahlzeiten kamen vielen Schülern gelegen, denn die Versorgung
in der Herberge war zugegeben nicht besonders reichlich. Des öfteren kam
es während des Abendbrotes zu wahren Essensschlachten um die einzige
Fischkonserve im Raum. Wollte man zusätzlich etwas Eßbares käuflich
erstehen, so begab man sich entweder auf eine Wanderung zum kleinen
Supermarkt in der Stadt, oder man wandte sich an den jugendherbergseigenen
Kiosk, der jedoch die meiste Zeit über geschlossen hatte. Eine Entschädigung
für diese kleineren Probleme waren die neu eingerichteten Zimmer, genauso
wie die netten Herbergsleiterinnen, die selbst dann noch sehr freundlich
und nachsichtig reagierten, als innerhalb von zwei Tagen durch unsere
Schuld zwei Eßtische zu Bruch gegangen waren.
Für die ein wenig dürftige Ernährung sollten die Organisatoren vom Wurzel
e.V. aber nicht verantwortlich gemacht werden. Ich gebe zu bedenken, daß
die gesamte Tagung inklusive Unterbringung, Verpflegung und Zugfahrt sage
und schreibe nur 120 DM gekostet hat – zu diesem Preis kann man in
manchen Hotels nicht mal eine Nacht verbringen. Es ist im Gegenteil
wirklich erstaunlich, daß das Lager mit einer solch niedrigen Gebühr am
Leben erhalten werden kann. Aber es ist fraglich, wie lange noch. Denn
die Sponsoren des Wurzel-Vereins sind rar, die offiziellen Institutionen
sehr knauserig bei der Geldvergabe. Es wäre schade, wenn es das
Mathe-Lager eines Tages aufgrund des fehlenden schnöden Mammons nicht
mehr gäbe. Doch vielleicht finden sich ja tatsächlich noch Einrichtungen,
die bereit sind, etwas in die Förderung der zukünftigen mathematischen
Elite zu investieren. Man kann nur darauf hoffen.
Das beste kommt bekanntlich immer zum Schluß. Deshalb möchte ich noch
auf einige Ereignisse eingehen, die besonders prägend waren oder
traditionell Höhepunkte einer jeden Tagung darstellen.
Allem voran ist ein Ereignis zu nennen, das ein absolutes Novum
darstellte: die Stadtrallye. Was großartig klingt, stellte sich auch als
solches heraus. So wurden wir Schüler eines schönen Tages unerwartet
zusammengerufen, in Gruppen aufgeteilt und zogen los, um Antworten auf
vorgegebene Fragen über die Stadt und deren Geschichte á la „Wie viele
Ecken hat der Stadtbrunnen?” zu finden. Dabei bekam man Kontakt zur
überwiegend freundlichen Bevölkerung Römhilds, und am Ende standen wir
gar der Aufgabe gegenüber, ein gekochtes Ei zu erobern, indem wir den
Bewohnern unsere Arbeitskraft für Tätigkeiten wie Hofkehren oder
Kohlentragen anboten. Die nahmen alles relativ gefaßt und hilfsbereit
auf, kannten ähnliche Aktionen vielleicht ja auch bereits von früheren
Jugendherbergsbesuchern.
Der Abend eines jeden Tages wurde immer sehnlichst erwartet – und das
nicht ohne Grund, denn fast täglich gab es ein besonderes Ereignis. Das
Krimi-Spiel (eine Art „Cluedo” mit ganz vielen Personen) und zahlreiche
Kartenspiel-Turniere könnt ihr selbst erleben, wenn ihr im nächsten
Mathe-Lager mit von der Partie seit – es lohnt sich garantiert. Aber
auf gar keinen Fall entgehen lassen solltet ihr euch sowohl das berühmte
Berg- als auch das berüchtigte Abschlußfest. Ich will nicht alles
verraten, aber soviel sei vorweggenommen: gemütliches Lagerfeuer mit
Knüppelkuchen, viele neue und alte Gesellschaftsspiele, sehr viele
Gummibären und sehr wenig Schlaf erwarten euch. Und wenn ihr noch nie etwas
von „Zipp-Zapp-Boing” oder dem „verrückten Professor”
gehört habt, seid ihr wirklich arm dran. Alte „MaLa-Hasen”
können euch das bestätigen.
Wenn auch die Betreuer immer meinen, früher sei sowieso alles besser
gewesen: Das stimmt nicht, wir werden in 4 Jahren garantiert dasselbe von der
Frühlings-SAM '99 behaupten!
Martin Lyssenko, Jena
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