Teil IV: Algorithmische Logik
In diesem letzten Beitrag zur Geschichte der Logik wollen wir auf eine
moderne Entwicklung der mathematischen Logik etwas genauer eingehen.
Es ist eine bekannte Tatsache, daß sich bei der gegenwärtigen
hochentwickelten Rechentechnik die Tendenz zeigt, daß im Rahmen der
Kosten einer rechentechnischen Anlage der Anteil der Kosten für die
Software (Systemunterlagen) gegenüber den Kosten für die Hardware
(Gerätetechnik) zunehmend größer wird und heute meist
schon weit mehr als 50 Prozent der Gesamtkosten ausmacht. Dies ist eine
der Ursachen für die gegenwärtigen äußerst
vielfältigen theoretischen Untersuchungen auf dem Software-Sektor,
die weltweit durchgeführt werden. Ihre Resultate und Bemühungen
kann man der sogen. Programmierungstheorie zuordnen. Wie bei jeder
speziellen mathematischen Theorie war man auch hier bestrebt, eine
logische Grundlage für diese Theorie zu schaffen, die
Programmierungstheorie als ein formalisiertes System darzustellen. So
entwickelte sich die algorithmische Logik. Ihr Anliegen ist das Auffinden
und Formulieren der wichtigsten Gesetzmäßigkeiten, die
Berechnungsprozesse betreffen, unabhängig von konkreten Maschinen oder
Algorithmen, Programmiersprachen und Berechnungsobjekten. Sie beschäftigt
sich mit Berechnungen, Datenstrukturen usw. Ihre Resultate können
angewandt werden bei der Analyse von Programmen, speziell bei der
Verifikation von Eigenschaften von Programmen, in der Theorie der
Datenstrukturen, der Algorithmentheorie, der Kompliziertheitstheorie, beim
Algorithmenentwurf, dem Aufbau von Programmiersprachen u.a. Die zu
untersuchenden Gesetzmäßigkeiten ähneln dabei den Gesetzen der
Aussagenlogik und Prädikatenlogik, und der Aufbau des Systems der
algorithmischen Logik ist analog dem Aufbau einer jeden formalisierten
prädikatenlogischen Sprache.
Erste Untersuchungen von Programm-Eigenschaften mit Mitteln der Logik
finden wir in den Jahren 1959 bzw. 1962 bei dem sowjetischen Mathematiker
J. I. Janow und dem Amerikaner
J. McCarthy. Janow entwickelte ein System
für das Beweisen der Äquivalenz von Programmen und McCarthy für die
Korrektheit von Programmmen. Zwei Programme heißen äquivalent, wenn sie
die gleichen Ergebnissse liefern. Ein Programm heißt korrekt bezüglich
zweier Eigenschaften A und B, wenn die Gültigkeit von A für die
Eingangsdaten des Programms die Gültigkeit von B für die Ausgangsdaten
zur Folge hat.
Ein erstes logisches System, das geeignet ist, allgemeine
Programmeigenschaften zu untersuchen bzw. zu beschreiben, enthält
eine 1966 erschienene Monographie von Helmut Thiele,
einem Schüler von Karl Schröter.
Dieses Buch mit dem Titel „Wissenschaftstheoretische
Untersuchungen in algorithmischen Sprachen” wird gelegentlich als Ursprung
der algorithmischen Logik bezeichnet. Ausgangspunkt für Thiele war eine
graphentheoretische Beschreibung algorithmischer Prozesse durch
Lev A. Kaloujnine (Kiew). Die Formalisierung erfolgte durch eine Erweiterung des
üblichen Prädikatenkalküls der ersten Stufe. Nebenbei bemerkt,
sind der Name Helmut Thieles (geb. 1926) und die Jahreszahl 1966 aus anderem
Grunde auch für die Universität Jena bedeutungsvoll. Nachdem 1966
die Sektion Mathematik der Friedrich-Schiller-Universität Jena als erste
Mathematik-Sektion im Hochschulwesen der DDR gegründet wurde, war
Professor Thiele ihr erster Sektionsdirektor.
1967 zeigte der Schweizer Erwin Engeler,
daß gewisse Terminations-Eigenschaften von Programmen (das sind Eigenschaften, nach
denen ein Programm überhaupt zu einem Ergebnis gelangt) in gewissen
logischen Systemen ausgedrückt werden können. Die Arbeiten von Engeler
waren 1968 der Ausgangspunkt für eine Gruppe von Wissenschaftlern der
Universität Warschau, sich mit der algorithmischen Logik zu beschäftigen.
Diese Warschauer Schule unter Leitung von
Andrzej Salwicki gilt inzwischen
im Weltmaßstab als eine der führenden Gruppen auf diesem Gebiet. Ihr
gehören ferner an L. Banachowski, A. Kreczmar, G. Mirkowska, H. Rasiowa
und viele andere. Gegenwärtig finden wir Forschungen zur algorithmischen
Logik überall, wo theoretische Computerwissenschaft betrieben wird.
Besonders starke Zentren gibt es neben Polen noch in den USA und in der
Sowjetunion. Das Gebiet der algorithmischen Logik hat sich dabei selbst zu
einer vielfältigen Wissenschaft entwickelt, in der unterschiedlichste
Logiksysteme untersucht werden, die schon heute kaum noch von einzelnen
Wissenschaftlern überblickt werden können. Von McCarthy stammt der
zukunftsweisende Ausspruch, daß die Beziehungen zwischen Berechnung und
Logik im vor uns liegenden Jahrhundert ebenso fruchtbar für die
Entwicklung von Wissenschaft und Technik sein wird, wie dies im vergangenen
Jahrhundert die Beziehung zwischen Analysis und Physik gewesen ist.
Dr. G. Lischke
FSU Jena
(erschienen in Die Wurzel, Heft 11/1984)
Geschichte der Logik
· Teil I: Vorgeschichte der modernen mathematischen Logik
· Teil II: Friedrich Ludwig Gottlob Frege
· Teil III: Weitere Entwicklung nach Frege
· Teil IV: Algorithmische Logik
· Literaturhinweise
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